"... für Judas und mich"

 

Halten wir heute einen Platz frei

für die Enttäuschten, die Vermissten,

die Geliebten, die Willkommenen....

                        ... für Judas und mich.

Liebe Leserinnen und Leser,

heute ist Gründonnerstag, und wir gedenken dem letzten Mahl von Jesus mit seinen Jüngern und Judas. Dieser Judas sieht seinen Platz nicht mehr bei den anderen Elf und Jesus.

Dieser Judas wird in der Geschichte gerne als Verräter bezeichnet. Aber ist er wirklich dieser Verräter?

Ich sehe ihm erst mal nur seine Enttäuschung an. Kann mir seine Ideale vorstellen und verstehe, seinen Wunsch nach Veränderung. Er hat alle seine Hoffnung in diesen Mann, seinen Herrn und Messias gesetzt. Aber nach seiner Ansicht ist es ausgeblieben, was er sich erhofft hatte.

Wann hat diese Enttäuschung bei Judas begonnen? Nichts mehr sagen, nichts mehr auf den Tisch legen, sondern alles in sich hineinzufressen?

Und ich weiß selbst aus Erfahrung, wie schwer es ist, wahre Worte zu finden und wichtige Dinge am Alltagstisch anzusprechen.

Ich erinnere mich noch, wie ich zu Hause beim Abendessen meinen Eltern gesagt habe, dass ich schwul bin, oder gebeichtet habe, dass es mal wieder einen blauen Brief nach Hause gibt, oder das die Ausbildung nicht das ist, was ich den Rest meines Lebens machen möchte.

Alles immer ein Horror! Alles, weil ich nicht wusste, wie die Reaktion sein würde. Schweigen, aussitzen, heulen, schreien, einfach gehen. Ich kann Judas verstehen, dass er sich entschieden hat zu gehen.

Aber nur, wenn alles Unausgesprochene, geheime Wünsche an diesem Tisch Platz hat, kann auch jeder einen Platz haben.

In vielen Ländern wird an bestimmten Tagen ein freies Gedeck am Tisch eingedeckt. Für die Verstorbenen, die Vermissten, die Geliebten, den Gast, die noch Unbekannten, die Willkommenen.

Heute am Gründonnerstag sprechen wir viel über die Mahlgemeinschaft, das Abendmahl, über Freunde und Jünger.

Wie wäre es, wenn wir heute ein Gedeck mehr eindecken. Eins? Ach was, Hundert!

Als Zeichen, dass jeder einen Platz bei uns hat:

Die Enttäuschten, die Idealisten, die Träumer, die Feigen, die Verstorbenen, die Geliebten, die noch unbekannten..... Judas und für mich.